Faszinierende Entwicklungsmuster bei Pflanzen. Ein Vortrag von Rolf Rutishauser, Prof. Dr., Universität Zürich. 23. Januar 2024 im Gletschergarten Luzern.

Der Gletschergarten Luzern im Zwielicht

Es ist kurz nach 18 Uhr und ich bin zu spät, denn der Abendverkehr in und nach Luzern war wie oft in Höchstform. Der Gletschergarten ist verlassen und dunkel, denn der Vortrag hat bereits begonnen. Ich bin zum ersten Mal hier und auf der Suche nach dem Sandstein-Pavillon. Es lässt sich nur erahnen, was für Attraktionen sich im Dunkeln des Gletschergartens verbergen.  Allein schon der verwaiste Gletschergarten im Zwielicht war die Reise wert, denke ich, als ich eilig die Türe des Sandstein-Pavillons öffnete, um nicht noch mehr vom Vortrag zu versäumen.

Gletschergarten Luzern-Sandstein Pavillon-Jubiläumsjahr 2024 -Vortrag-Falten und Entfalten

Der Sandstein-Pavillon im Gletschergarten Luzern

Wie passt das alles in eine Knospe?

Schon oft habe ich mich gewundert, welch Fülle aus einer einzigen Knospe spriesst – und mit welcher Durchschlagskraft! Doch auch, wenn es nicht offensichtlich ist, wird dieses Wunder, was wir Menschen Frühling nennen, gewissenhaft vorbereitet.

Bei mehrjährigen Pflanzen wird noch im Sommer der kommende Frühling geplant und vorbereitet. Alle Anlagen für Blüten, Blätter und Triebe werden geschützt gegen Kälte und Feuchtigkeit in Knospen gut verpackt. Eingefaltet und eingerollt und dem Winter trotzend warten die Knospen dann auf wärmere Temperaturen und längere Tage bis sie endlich aufspringen und zu wachsen beginnen. Während ein Baum grundsätzlich langsam wächst, ist jeder Frühling im Vergleich dazu wie ein grosser Start in ein Rennen.

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Buchenknospen und -blätter im Frühling

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Der Röntgenblick in das Innere der Knospe

Der Pflanzenmorphologe Rolf Rutishauser ermöglicht durch Spezialaufnahmen einen Blick in die geschlossene Knospe. Dabei lässt sich erkennen, mit welcher Technik die Knospe sich entfalten wird. Er demonstriert dies mit Momentaufnahmen unterschiedlicher Entfaltungsstadien der Knospen. Rutishauser erklärt, dass es unterschiedliche Faltechniken je nach Pflanzenart gibt. Viele Pflanzen folgen beim Entfalten und Wachsen der Fibonacci Folge. Und hier wird es besonders spannend, wie ich finde, denn die Fibonacci Zahlen sind ein Schnittpunkt, wo Natur, Mathematik, Kunst und Ästhetik einander treffen.

Fibanocci war ein bedeutender Mathematiker im Mittelalter, der nicht nur die indisch-arabischen Zahlen in Europa einführte, sondern uns auch die berühmte Fibonacci Folge hinterliess. Ob er wohl geahnt hatte, dass die Folge, die er ursprünglich zur theoretischen Berechnung einer Kaninchenpopulation entwickelt hatte, zu einer der bedeutendsten Zahlen werden. Unglaublich viele Wachstumsprozesse in der Natur können mit der Fibonacci Folge erklärt werden.

Anhand von einem Zapfen und einer Sonnenblume zeigt Rutishauser uns die Spiralen, die jeweils nach links und rechts drehen. Wenn man beispielsweise bei der Sonnenblume die links und rechtsdrehenden Spiralen einzeichnet, erhält man 34 linksdrehende und 55 rechtsdrehende Spiralarme. Es handelt sich dabei um zwei aufeinanderfolgende Fibonacci Zahlen.

Je grösser die Fibonacci Zahlen werden, desto mehr nähern sich dem Goldenen Schnitt an. Der goldene Schnitt ist eine irrationale Zahl, die eine Strecke oder einen Winkel im Verhältnis von ungefähr 1 zu 1,618 teilt. Für Pflanzen ist der Goldene Schnitt beziehungsweise der Goldene Winkel von etwa 137,5 Grad das perfekte Mass, um den Abstand zwischen ihren Blättern zu definieren, oder in unserem Fall sich zu entfalten.

Der Vortrag von Rolf Rutishauser ist nicht nur spannend, sondern hat auch Unterhaltungswert. In jedem seiner Slides spüre ich seine Faszination und Liebe für Pflanzen, was den Vortrag so besonders macht.

Ich bin dankbar für ganz seltene Einblicke in das Wunder Knospe und den Röntgenblick, den mir Rutishauser ermöglicht hat.

Mabonas Faltkunstwerke zum Abschluss

Der Vortragsraum ist noch voller Menschen, und es herrrscht wie es so ist nach einem Vortrag ein kleines Durcheinander. Trotz alldem strahlen die Kunsterwerke von Mabona  eine ungewöhnlich ruhige und starke Präsenz aus. Ist es die natürliche Form, die Struktur oder die Farbe? Die Kombination, die Wiederholung? Kraftvoll und würdig sind sie an der Wand und am Boden platziert, als würden sie jedem zuflüstern “ Wir sind da – wir waren da – wir werden da sein.“

Ich war kurz darauf nochmals im Gletschergarten – zu Öffnungszeiten – um Mabona auszukosten und den Gletschergarten auch einmal im Tageslicht zu sehen. Aber da sind wir schon mitten in der nächsten Geschichte … hier jedoch ein paar Fotos.

Baumgesellschaft-Beitrag-Mabona-Gletschergarten Luzern-Transcending the garden
Baumgesellscahft-Beitrag-Mabona-Gletschergarten Luzern-Ausstellung-Transcending the garden-Falten und Entfalten
Mabona-Baumgesellschaft-Jubiläumsausstellung Gletschergarten Luzern-Transcending the garden

Mehr zum Jubiläumsjahr des Gletschergarten Luzern

Der Vortrag ist Teil der Gletschergarten-Vortragsreihe „Falten & Entfalten in der Natur“, die bis Mai 2024 stattfindet. Die Vortragsreihe findet um die Jubiläumsausstellung 150 Jahre Gletschergarten „Transcending the Garden“ von Sipho Mabona statt. Mabona ist ein international anerkannter Faltkünstler, der in Luzern beheimatet ist. Die Ausstellung kann noch bis Ende 2024 im Juni 2022 eröffneten Sandstein-Pavillon zu Öffnungszeiten besucht werden.

Weitere Vorträge der Jubiläumsreihe: