Ernst Zürcher ist diplomierter Forstingenieur der Universität ETH in Zürich. Er ist Lehrbeauftragter für Holzkunde an der ETH Zürich, EPFL Lausanne und emeritierter Professor für Holzwissenschaften an der Berner Fachhochschule. Er beschäftigt sich mit der Anatomie und den Eigenschaften des Holzes. Gleichzeitig aber auch mit den grossen Zusammenhängen wie zum Beispiel den zeitlichen Strukturen und den biologischen Rhythmen der Bäume.

Baumgesellschaft-Buchempfehlung-Ernst Zürcher-Die Bäume und das Unsichtbare-Cover

Ernst Zürcher

«Die Bäume und das Unsichtbare. Erstaunliche Erkenntnisse aus der Forschung»

2. Auflage, 2018, AT-Verlag

Dieses Buch ist tatsächlich erstaunlich

Gleich vorweg: Ernst Zürcher liest sich nicht so leicht wie ein Peter Wohlleben oder Stefano Mancuso, aber es lohnt sich. Ernst Zürcher hat mir mit seinem Buch nicht nur ein Aha-Erlebnis beschert. Das Buch ist ein ganz besonderer Mix aus Wissenschaft und Erzählung. Einerseits präsentiert er uns wissenschaftliche Studien unterschiedlichster Autoren, oft sehr detailliert, andererseits kehrt er immer wieder zur Betrachtung des Ganzen zurück.

Er erzählt von Traditionen und Wissen aus Naturvölkern, beschreibt die Entstehung der Bäume und wagt sich schliesslich auch an die unsichtbare und doch reale Welt jenseits von Sehen und Fühlen: „Ein Geflecht aus Wechselwirkungen bildet ein subtiles Gewebe zwischen allen Lebewesen.“ Es ist ihm wichtig, trotzdem die Ebene der Wissenschaft nicht zu verlassen. Aus seiner Sicht gibt es Vorgänge, die wir heute noch nicht erklären können, aber uns bleibt, sie zu beschreiben und sie als Hypothese zu formulieren.

Ich habe etliche Bücher über Bäume gelesen, aber dieses ist inhaltlich anders als all die anderen Baumbüchern, die es bisher am Markt gibt.

Die Eibe – der heilige Baum

Ein ganzes Kapitel ist den Eiben gewidmet. Man erfährt, wo alte Baumriesen stehen und die genauen Masse. Zürcher erzählt von den Kelten und Druiden und was die Eiben für die alten Naturvölker bedeutet haben.

Von der Anatomie des Holzes bis zur Biologie der Rhythmen

«Der Baum ist ein ideales Beispiel für diese Vorgehensweise, bei der man vom Ganzen ausgeht, um zu einem Verständnis der Einzelteile zu kommen. Mittels einer funktionalen Annäherung an die Anatomie zum Beispiel ist der Organismus sinngebend für das Organ, und das Organ ist sinngebend für die Zelle. Es geht darum, zu verstehen, wie im Verlauf der individuellen Entwicklung, aber auch in der gesamten Evolution Strukturen und Funktionen ständig interagieren.» (Seite 20)

Ich finde, oben angeführtes Zitat ist beispielgebend für das Buch. In manchen Kapiteln beschäftigt sich Zürcher detailliert über Einzelteile wie zum Beispiel dem Aufbau des Holzes oder der Photosynthese, während in anderen Kapiteln die Einzelteile wieder zum grossen Ganzen geführt werden wie in dem Kapitel der Chronobiologie, wo der Mond eine zentrale Rolle spielt.

«In diesem Kapitel über die beobachtbaren Rhythmen im Bereich der Baummorphologie und – physiologie soll der Schwerpunkt nicht auf den Rhythmen liegen, die von der Sonne gesteuert werden – wie die leicht wahrnehmbaren Veränderungen im Lauf des Tages oder der Jahreszeiten. Es werden hier viel subtilere Rhythmen thematisiert … die Rhythmen der Bäume, die im Einklang mit den Bewegungen oder Positionen des Mondes im Verhältnis zu anderen Himmelskörpern stehen.» (Seite 90)

Und obendrauf gibt es auch noch das praktische Kapitel «Fruchtbare Partnerschaften». Welchen Beitrag kann der Wald für die Gesundheit der Menschen leisten? Wie können wir nachhaltig den Wald bewirtschaften? Wie kann man Nicht-Holz-Produkte der Bäume nutzen? Spannend sind auch die Gehölzformationen in Agroforstsystemen.

Zum Schluss noch ein Funfact

Holz auf seine elementaren, chemischen Bestandteile reduziert, ergibt hinsichtlich des Gewichts folgende Aufteilung:

50% der Masse besteht aus Kohlenstoff, 44% aus Sauerstoff, 6% aus Wasserstoff. Weniger als 1% besteht aus Stickstoff, Phosphor, Calcium und verschiedenen Spurelementen mineralischen Ursprungs, die nach der Verbrennung die Asche bilden.

Damit lässt sich nach Zürcher feststellen, dass 99% des Holzes aus «Unsichtbaren» besteht. (Seite 61)

Für mich ist Zürcher der Philosoph der Wissenschaft. Der Wissenschaft verpflichtet, jedoch anerkennend, dass es ausserhalb des wissenschaftlichen Forschungsbereiches noch mehr gibt. Er spricht selbst vom „Zauber der Welt“.