Was bedeutet der Wald eigentlich für uns Menschen? Pure Erholung, denke ich, da ich gerade durch den Wald laufe. Der Holzpolter am Weg verweist dezent an die Holznutzung. Ich atme tief durch und werde beschenkt mit herrlich guter Waldluft. Ach ja! Und Retter in der Klimakrise ist er auch. Ist der Wald ein Tausendsassa? Das schaue ich mir doch Mal genauer an …

Der Mensch und der Wald haben bereits eine lange gemeinsame Geschichte. Gerade erlebt der Wald jedoch eine selten dagewesene Aufmerksamkeit und rückt immer mehr in den Fokus reger Diskussionen und auch emotionaler Auseinandersetzungen gegensätzlicher Interessengruppen der Gesellschaft. Versuchen wir, den Wald aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Wie sehen  Menschen den Wald? Welche unterschiedlichen Anforderungen muss der Wald erfüllen?

Abbildung: Nutzungskonflikte im Wald

Baumgesellschaft-Der Mensch und der Wald-Nutzungskonflikte im Wald-Abbildung

Jeder Wald ist ein Eigentum. Der Eigentümer ist zumeist auf Forstwirtschaft angewiesen, und die Gesellschaft auf der anderen Seite auf das Holz, auf das sie nicht verzichten kann. Im Gegenteil Holz zählt zu den beliebtesten und nachhaltigsten Materialien unserer Zeit. Gleichzeitig soll der Wald der Erholung aller dienen. Und genau deshalb muss der Wald auch geschützt werden. Und der Klimakrise wegen: als Klimaretter der Welt. Wie soll das der Wald alles schaffen?

1.1 Eigentum: Jeder Wald hat einen Eigentümer.

Auch wenn es manchmal den Anschein hat, dass Wald Allgemeingut ist, hat ausnahmslos jeder Wald einen Eigentümer. Trotz freiem Betretungsrecht bestehen selbstverständlich Eigentümerrechte. Wir sind demnach immer Gäste im Wald.

71% der Schweizer Wälder sind Eigentum der öffentlichen Hand, das heisst von Bürgergemeinden (Korporationen), politischen Gemeinden und mit geringerem Anteil vom Staat. 29% der Waldfläche ist im privaten Besitz (1).

Wie es so ist, gibt es neben den Eigentümerrechten auch -pflichten. Der Eigentümer haftet für die Sicherheit und für allfällige Schäden auf öffentlichen Erholungsplätzen im Wald. Auch bei illegal erstellten Bauten wie zum Beispiel Biker Trails, die vom Waldeigentümer geduldet werden, besteht eine Haftung durch den Eigentümer (2). Aus diesen Gründen ist es obligatorisch, für feste Bauten oder auch Veranstaltungen eine Bewilligung beim Forst oder beim Waldeigentümer einzuholen.

Das Betretungsrecht garantiert einen Zugang für alle, die im Wald Erholung suchen. Desweiteren ist es jedem Besucher laut schweizerischem Zivilgesetzbuch erlaubt, mit «gesundem Menschenverstand» Pilze, Früchte und Nüsse zu sammeln. Der Erholungswald bedeutet für den Waldeigentümer einen finanziellen Aufwand. Das Wegnetz, Picknickplätze, Ruhebänke, Abfallkübel und Robidogkästen müssen gewartet werden. Um die Sicherheit an diesen Orten zu gewährleisten, müssen morsche Gäste und Bäume gefällt werden.

1.2 Erholung: Wie viele Menschen verträgt der Wald?

Der Wald erlebt aktuell einen selten dagewesenen Höhepunkt in der Freizeitnutzung. Menschen suchen in der Natur Ruhe, Ablenkung oder auch eine sportliche Herausforderung.

Spaziergänger, Wanderer, Jogger, Biker, Reiter… und dabei kommen sie sich nicht nur gegenseitig in die Quere – man denke an die Konfrontationen zwischen Spaziergänger und Biker – sondern hinterlassen leider auch sehr viele Abfälle, die regelmässig entsorgt werden müssen. Wer die Verantwortung dafür trägt, wissen wir ja bereits …

Das stete Bevölkerungswachstum bringt Naherholungsgebiete immer öfter an die Grenze ihrer Belastbarkeit. Wie allzu oft machen Krisen, in unserem Fall die Covid 19-Pandemie, Schwachstellen sehr schnell sichtbar. Der Druck auf Förster und Waldeigentümer nahmen immens zu und in manchen Fällen wurden sogar Ranger eingesetzt, die zum Schutz des Waldes und der Tiere für Ordnung sorgen mussten. Beispielsweise war es erforderlich, Wegstrecken abzusperren, um Tiere wie das seltene Auerhuhn in Brutzeiten zu beschützen. Oder es musste darauf hingewiesen werden, dass die Nutzung von Stirnlampen im Dunkeln negativen Einfluss auf Tiere haben kann (2) (3).

Abbildung: Willkommen im Wald! Ein Knigge für den respektvollen Waldbesuch (4)

Baumgesellschaft-Beitrag-Der Wald und der Mensch-Natur und Mensch-Willkommen im Wald-Knigge für den respektvollen Umgang im Wald

Die Arbeitsgemeinschaft für den Wald (AfW) hat mit zwanzig internationalen Organisationen einen Verhaltenskodex für einen respektvollen Waldbesuch erarbeitet. Die «Wald-Knigge», wie sie es nennen, stehen auf deren Website als Video oder auch in originell illustrierten Flyern in unterschiedlichen Sprachen zum Download zur Verfügung (4).

Gäste sollten sich immer zu benehmen wissen, oder? Die Wald-Knigge hilft.

1.3 Forstwirtschaft: Das Image ist stark beschädigt.

Der Wald gerät immer mehr in den Fokus des Naturschutzes und die Forstwirtschaft steht in vielen europäischen Ländern unter Dauerbeschuss. Die Fronten zwischen Naturschutz und Forstwirtschaft verhärten sich.

Die bittere Wahrheit ist: Der Mensch benötigt Holz. Es dient uns seit jeher als Baumaterial, zum Heizen und zur Papierherstellung. Die Menschen nutzen all dies mit einer Selbstverständlichkeit und sind gleichzeitig für Naturwälder und Prozessschutz. Das kann nur schwer funktionieren. Warum jedoch eilt der Forstwirtschaft ein so schlechter Ruf voraus?

Laut Sven Herzog (5) war Mitte des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts der Zustand der Wälder in weiten Teilen Europas auf seinem absoluten Tiefstand. Wegen der immer steigenden Nachfrage nach Bau- und Konstruktionsholz, Holzkohle sowie Glas gab es kaum noch Holzvorräte und zeitgenössische Texte sprachen von durchwegs verwüsteten Landschaften. Es herrschte wahrlich eine Raubbauwirtschaft.

Die Forstwirtschaft war eigentlich die Antwort darauf, denn die Bewirtschaftung der Wälder sollte von nun an den Regeln der Naturwissenschaft und Mathematik folgen und kontrolliert ablaufen.

«Langfristig soll nicht mehr Holz genutzt werden als nachwachsen kann.»

Der heutzutage so oft verwendete Begriff der Nachhaltigkeit war geboren (5).

Zweifelsohne wurden dabei auch Fehler gemacht, die weitreichende Konsequenzen bis heute haben: umfangreiche Kahlschläge mit anschliessender Neupflanzung von Fichte und Kiefer, zumeist in Reinbeständen und in einer Altersklasse. Peter Wohlleben spricht hier von Baumplantagen (6), die natürlich sehr anfällig sind, wie wir nach jahrelanger Trockenheit und Borkenkäferplagen nun alle wissen. Die Schäden, die dadurch entstehen, sind allerdings nur von forstwirtschaftlichem Belang, denn der Wald selbst ist in seiner Entwicklung dadurch nur wenig tangiert.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts wird in den Forsten Deutschlands, Österreichs und der Schweiz vorwiegend eine naturnahe Waldwirtschaft betrieben, die versucht mit Mischbestand, unterschiedlicher Altersstruktur und Totholz natürliche Prozesse im Wald zu berücksichtigen.

Forstwirtschaft sieht sich allerdings nicht ausschliesslich auf Holzwirtschaft beschränkt. Das Stichwort Schutzwald wird in den klimatischen Veränderungen der Klimakrise immer bedeutender. Schützt der Wald vor Naturgefahren? Projekt SilvaProtect-CH (6) sagt, dass die Hälfte des Schweizer Waldes auch Schutzwald ist. Doch was ist ein Schutzwald?

„Ein Schutzwald ist ein Wald, der ein anerkanntes Schadenpotenzial gegen eine bestehende Naturgefahr schützen oder die damit verbundenen Risiken reduzieren kann.“ Definition Schutzwald nach SilvaProtect-CH (6)

Baumgesellschaft-Beitrag Der Wald und der Mensch-Schutzwald-Naturgefahren-Erosion
SilvaProtect-CH berichtet, dass Schutzwälder das Anbrechen von Lawinen verhindern, Hänge stabilisieren, herabstürzende Steine bremsen und den Wasserhaushalt regulieren. Sie sind die Voraussetzung, dass wir in vielen Gebieten der Schweiz überhaupt wohnen, wirtschaften und unsere Verkehrswege sicher benutzen können. Es ist essentiell, dass Kantone den Wald mit Schutzfunktion in ihre forstliche Planung integrieren und pflegen.
Viele Kantone und Gemeinden sind sich dieser Aufgabe sehr wohl bewusst und Schutzwaldpflege wird bereits als selbstverständlicher Alltag in ihrem Forst gelebt.

1.4 Naturschutz: Ökologie versus Ökonomie

Vor rund 300 Millionen Jahren entwickelten sich die ersten Bäume, vor 300.000 Jahren tauchte der Homo Sapiens auf und vor 300 Jahren entstand die Forstwirtschaft. Viele Naturschützer sind überzeugt, der Wald benötigt weder Mensch noch Forstwirtschaft. Unter uns, in Wirklichkeit ist es noch schlimmer. Pflanzen könnten problemlos auf der Erde ohne Menschen existieren, uns Menschen dagegen würde ohne Pflanzen bald die Luft ausgehen.

Stimmt, der Wald braucht uns Menschen nicht, doch wir brauchen ihn. Und das nicht nur wegen unserer Möbel und Papiereinkaufstaschen, sondern auch wegen seiner speziellen Rolle in Klima- und Biodiversitätskrise. Das Image und die Bedeutung des Waldes steigt immer mehr und wird zum Marketinginstrument für Politik und Wirtschaft. Naturschutz ist in aller Munde, doch tatsächliche Taten sind schwierig auszuhandeln zwischen den Fronten der Politik, Ökonomie und Ökologie. Menschen sind also nicht nur Auslöser für die Krise, sondern behindern auch noch die Lösung! Wo wir wieder am Anfang wären … kein Mensch, kein Problem.

Wie Herzog berichtet, stehen die Wälder aus zweierlei Gründen im Zentrum des Interesses. Einerseits wohl als eines der wirksamsten Instrumente im Kampf gegen den Klimawandel, andererseits besteht Grund zur Sorge, dass das Ökosystem Wald als erstes den Klimaveränderungen zum Opfer fallen wird (5).

Für Wohlleben und Ibisch (8) stellt die Klimakrise, die aus ihrer Sicht eigentlich schon eine Klimakatastrophe ist, zurzeit alle exisitierenden Probleme für den Wald in den Schatten, denn sämtliche Gefährdungen für den Wald werden absolut irrelevant, wenn unser Planet in eine Heisszeit gelangt. Laut einer italienischen Studie sind durch die Klimakrise 58% der Baumbiomasse der europäischen Länder durch vermehrten Windwurf, Feuer und Insektenfrass bedroht. Gefährlich dabei ist aber nicht nur der freigesetzte Kohlenstoff, sondern die Veränderung des Regionalklimas und der Biodiversität.

Doch was ist schuld, dass es überhaupt so weit gekommen ist? In den meisten Teilen der Erde werden die Gesellschaften von Konsum getrieben. Bevölkerungswachstum und stetig steigender Ressourcenverbrauch gehen einher mit Veränderung und Zerstörung in der Natur. Hoch entwickelte Finanz- und Wirtschaftssysteme haben sich verselbstständigt. Veränderungen sind schwer verhandel- und durchführbar, weil Industrie- und Wirtschafslobby unter Druck stehen und sich wehren (8).

Ähnlich sieht es auch Hubert Weinzierl, Mitbegründer des Nationalparks Bayrischer Wald, dem ersten Nationalparks Deutschlands. «Wir stehen heute an einem Punkt, an dem in vielen Bereichen politische Veränderungen unabdingbar sind. Leider haben wir viele Entscheidungen getroffen, die revidiert werden müssen. An erster Stelle steht das ökonomische Wachstum. Der Wachstumsglaube muss durch die ökologischen Notwendigkeiten korrigiert werden.» Es brauche keine neuen Erkenntnisse mehr, sondern die Zeit des Handels ist gekommen. (9)

Einen innovativen Ansatz zeigt die Ökologin Gretchen Daily, die versucht, Leistungen der Umwelt für unsere Gesellschaft messbar zu machen. Sie nennt es das Kapital der Natur. Landbesitzer sollen für Schutzmassnahmen von der öffentlichen Hand Geld erhalten. Bereits in vierzig europäischen Ländern ist das Natural Capital Project tätig. Durch die Erstellung einer neuen Messgrösse kann die Natur zukünftig in ihrer Leistung genauso beurteilt werden wie Güter und Dienstleistungen (10).

Der Wald ist also ein Alleskönner!

Und doch nur aus Menschensicht, denn eigentlich ist es dem Wald völlig egal, was wir machen. Das Ökosystem Wald funktioniert und wäre der Mensch nicht mehr da, würde sich alles regenerieren. Eine Baumgeneration nach der anderen, Jahrhunderte oder vielleicht Jahrtausende lang, so lange es eben dauert, weil Zeit ist dann nicht länger wichtig.

Literaturverzeichnis

(1) BAFU (Hrsg.) 2022: Jahrbuch Wald und Holz 2022. Download als PDF unter https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/wald/publikationen-studien/publikationen/jahrbuch-wald-und-holz.html

(2) WaldZug: Verband der Waldeigentümer: 100 Jahre Wald Zug, 2021.

(3) WaldSchweiz: Verband der Waldeigentümer, Wald und Holz, 6/2023.

(4) AfW: Arbeitsgemeinschaft für den Wald, Wald-Knigge.

(5) Sven Herzog: Die Sache mit dem – Wald. Neue Perspektiven und Konzepte für unser Ökosystem, Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co KG, Stuttgart, 2023

(6) Waldwissen.net: https://www.waldwissen.net/de/lebensraum-wald/schutzfunktion/schutzwald-in-der-schweiz#c83971

(7) Peter Wohlleben: https://www.peter-wohlleben.de

(8) Peter Wohlleben: Pierre L. Ibisch, Waldwissen. Vom Wald her verstehen. Erstaunliche Erkenntnisse über den Wald, den Menschen und unsere Zukunft, Ludwig Verlag, München, 2023

(9) Alexandra von Poschinger: Wilder Wald. Europas Pionier für die Wälder der Zukunft, Knesebeck GmbH & Co. Verlag KG, München, 2020

(10) NZZ am Sonntag, Alain Zucker: Was kostet die Natur? Leistungen der Natur galten lange als gratis. Die US-Ökologin Gretchen Daily misst, was sie wert sind – um die Natur zu schützen, 25. Juni 2023, Zürich